Abwegige Sexualpraktiken führen zum Tod

Als der 68jährige Rentner Hans-Paul B. aus Wickrath am Morgen des 7. November 2016 aufstand, rief er den Notarzt. Seine 55jährige Lebensgefährtin Ingrid P. lag reglos im Bett. Der Arzt konnte nur noch den Tod feststellen. B. hatte in der Nacht davor an der Frau alle möglichen, auch gefährlichen Formen des Sexualverkehrs (mit Gegenständen) vorgenommen, die zum Tod führten, wie er später bei der Vernehmung einräumte. Seit April 2017 stand er unter Anklage des Mordes (in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person) vor der 7. Großen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach. Einer seiner beiden Verteidiger, Prof. Ulrich Sommer, bemerkte während des Prozesses: „Mein Mandant hat alles Mögliche im Kopf gehabt, vor allen Dingen aber sehr viel glückliche Jahre noch mit seiner Lebenspartnerin, aber mit Sicherheit nicht deren Tod.“ Der Prozessbeginn wird von der örtlichen Presse und mehreren Fernsehsendern verfolgt; der Zuschauerraum im Saal A 100 ist bei Prozessbeginn gut gefüllt.

Wie sich während der Verhandlungen herausstellte, wurde der Angeklagte 1948 geboren und verlor seinen Vater im Jahr 1960 (seine Mutter starb 1993). Er war zweimal verheiratet; von seiner ersten, inzwischen verstorbenen Frau wurde er geschieden, von der zweiten ist er verwitwet. (Beide Frauen starben an Krebs.) Der Angeklagte hat eine Tochter aus erster Ehe (mit ihr hat er wenig Kontakt, obwohl auch sie in Mönchengladbach wohnt) und zwei Stiefsöhne aus der zweiten Ehe. Vor seiner Pensionierung war B. Montageinspektor und dadurch viel auf Reisen. Der Angeklagte und das Opfer gehörten dem Schützenverein „St. Antonius“ in Wickrath an. Sie lernten sich Ende Mai 2016 in einer Wickrather Gaststätte kennen (derselben, in der sie sich vor Ingrids Tod aufhielten) und waren bald darauf ein Paar. (Bis dahin war das Opfer sechzehn Jahre lang mit dem Dachdecker Jürgen H. liiert.)

Ingrids Tochter Sabrina W., die im Prozess als Nebenklägerin auftritt, war von der neuen Beziehung nicht sonderlich begeistert, wie sie im Zeugenstand aussagt. Ihr missfiel, dass ihre Mutter so schnell mit dem neuen Freund zusammenzog. Die Tochter, die bei der Zeugenaussage mit den Tränen kämpft, hat noch mehr durchgemacht: sie war zur Zeit der Tat wieder schwanger (Sabrina W. ist verheiratet und hat einen neunjährigen Sohn namens Fabian). Sie habe damals an das Sprichwort gedacht: „Der Himmel nimmt einen Menschen und gibt einen neuen.“ Aber sie verlor das Kind. Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist gegenwärtig arbeitsunfähig. Sie leidet an Schlafstörungen, war auch in Krefeld in einer Trauma-Ambulanz und steht jetzt auf der Warteliste für eine Therapie (sie gilt nicht als Notfall, da man bei ihr keine Selbstmordgefahr befürchtet). Ihr Sohn weiß zwar vom Tod seiner Oma, aber die genauen Details will sie ihm erst später erzählen, wenn er dafür alt genug ist. Sie hofft, dass sie den Prozess bald hinter sich lassen kann und B. die Höchststrafe bekommen wird.

Ingrid P. erschien einerseits durch die neue Beziehung vielen als „aufgeblüht“; sie erzählte auch, sie habe endlich wieder „geilen Sex“. Aber es gab auch beunruhigende Veränderungen: sie traf sich seltener als sonst mit Freunden und Angehörigen (auch mit Fabian, für den sie sonst alles stehen und liegen ließ) und telefonierte auch seltener mit ihnen. Sie war jetzt wie „ferngesteuert“. Auch ihre Trinkgewohnheiten änderten sich wieder: Ingrid P. betrieb früher selbst eine Wirtschaft und war als „trinkfest“ bekannt. Bevor sie B. kennenlernte, trank sie nur noch sehr wenig Alkohol, aber danach wieder mehr, wird erzählt.

In der Nacht vom 6. auf den 7. November 2016 geschieht das Unfassbare. Abends haben sich Hans-Paul und Ingrid in einer Gaststätte aufgehalten. B. hat etwa ein Dutzend Glas Bier konsumiert und das Opfer einige Biere und ca. fünf bis zehn Tequilas (später werden bei ihr 3,79 Promille festgestellt). Sie stürzt einmal von ihrem Stuhl. Mit Hilfe von zwei weiteren Männern, darunter Ingrids Bruder, bringt B. sie nach Hause. Dort kommt es dann zu den oben erwähnten Taten. Da sich das Opfer (wie in einem solchen Zustand zu erwarten) nicht wehrt, glaubt er anscheinend, weitermachen zu können. „Alles war machbar“, erzählte B. später. Er fügt Verletzungen im Unterleibsbereich zu, an denen Ingrid verblutet. Sie erleidet außerdem einen Halswirbelbruch, der aber nach dem Urteil der Gutachter in diesem Fall nicht zum Tode geführt haben kann. Der Polizei gegenüber, die später am Tatort erscheint, schildert B. ganz offen seine Taten. Er erscheint als gefasst oder gar „empathielos“. Während der Verhandlungen redet er lange Zeit nicht, zeigt keine Gefühlsregung. „Er sitzt da total selbstgefällig“, beschreibt ihn Sabrina W. im Interview mit „RTL West“.

Der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht interpretiert die Tat als sadistisch. (Der Angeklagte war hier nicht kooperativ; deshalb ist der Sachverständige auf Vermutungen angewiesen.) Die Blutung und die Wehrlosigkeit des Opfers hätten den Täter wahrscheinlich zusätzlich erregt. Er habe sich suggeriert, das Opfer wünsche dies, und er habe auch Macht ausüben wollen. B. habe seine Veranlagung (diese könnte schon in der Pubertät aufgetreten sein) wahrscheinlich lange überwiegend oder ausschließlich in der Phantasie ausgelebt und seine sexuellen Wünsche erst in der Beziehung mit Ingrid im vollen Umfang in die Tat umgesetzt. Seine beiden Ehefrauen, mit denen er jeweils lange zusammenlebte, hätten sich solche Praktiken wahrscheinlich nicht auf Dauer gefallen lassen. Täter wie B. hätten ihre Veranlagung innerlich akzeptiert, während andere sie als „ich-fremd“ ansehen. (Im Gegensatz zu vielen Angeklagten in anderen Prozessen hat B. bei Aufnahmen, die der WDR, RTL und CityVision an einem Prozesstag vom Angeklagten machten, nicht versucht, sein Gesicht zu verbergen.) Das Ausmaß des Alkoholkonsums (die Blutproben vom 7. November um 10.50 Uhr ergaben 0,0 Promille, weshalb B. zur Tatzeit allerhöchstens 2,4 Promille gehabt haben kann, sagt der Gutachter) habe die „Steuerungsfähigkeit“ des Angeklagten nicht verringert. Die Wiederholungsgefahr sei nicht zu unterschätzen.

Am 16. Juni trägt der Angeklagte eine Einlassung vor. Er könne sich seine Tat nicht erklären. Erst durch die Zeugenaussagen habe er begriffen, was die anderen Leute über ihn dachten. Er erzählt von seinem Leben und seinen Ehen. Seine erste Ehe, die nach 23 Jahren geschieden wurde, sei an der Unerfahrenheit der Partner gescheitert. Er sagt, gelegentlich fremdgegangen zu sein. Nach dem Tod seiner zweiten Frau Marita im Jahr 2015 fühlte er sich sehr einsam. Von September 2015 bis März 2016 musste er drei Herzoperationen über sich ergehen lassen. Dann lernte er Ingrid P. kennen. Er beschreibt sie als „lebhaft“ und „phantasievoll“. Die ausgefallenen Sexualpraktiken habe er bei ihr gelernt. An die Nacht vom 6. auf den 7. November könne er sich nur noch verschwommen erinnern. Er gibt zu, schon vor diesem Tag Gegenstände bei Ingrid eingeführt zu haben. Sie habe ihm alles erlaubt. Als er in der besagten Nacht Licht machte und die Blutlachen sah, habe er ihren Tod zunächst nicht wahrhaben wollen. Um „Normalität“ zu schaffen, habe er dann am Tatort saubergemacht. Er habe ihren Tod nicht gewollt, werde aber sich der Verantwortung stellen.

Sabrina W. schenkt der Aussage des Angeklagten nicht viel Glauben. Gegenüber dem Gladbacher Tageblatt äußert sie, die Einlassung sei wohl zu 80 Prozent von seinen Anwälten
vorformuliert worden. Im Übrigen (darauf macht der Staatsanwalt in seinem Plädoyer aufmerksam) gibt es darin Widersprüche zu seinen Aussagen vor der Polizei. So behauptet B. in der Einlassung, seine Taten schnell verübt zu haben. Der Polizei dagegen habe er z.B. erzählt, wie ihm zwischendurch beim Gang ins Badezimmer noch ein Gegenstand auffiel, den er dann ebenfalls verwendet habe.

Das Gericht verurteilt B. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (Az 27 Ks 2/17).

In der Begründung erinnert der Vorsitzende Richter Lothar Beckers an die Worte von B. gegenüber der Polizei: „Da habe ich probiert, wie weit ich gehen kann.“ Wer so rede, der habe nicht an Liebe oder an den Partner gedacht, sondern nur an die eigene Lustbefriedigung. B. sei mit dem Opfer umgegangen wie mit einer aufblasbaren Puppe. Für den Tatbestand des Mordes genüge bereits der bedingte Vorsatz (dolus eventualis). Das bedeutet, dass der Täter den Tod des Opfers zwar nicht will, aber in Kauf nimmt, und das sei hier der Fall gewesen.

Einige Zuschauer (am letzten Prozesstag ist der Zuschauerraum noch etwa halbvoll, was wahrscheinlich mit dem herrschenden Regenwetter zusammenhing) kommentieren das Urteil mit „Bravo“-Rufen.

Die Verteidigung hat Revision angekündigt.

Rhenanus

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