Im November 2016 versammelten sich rund 500 Menschen im Zentrum von Viersen-Dülken, um dem Tod eines fünfjährigen Jungen, Luca, zu gedenken. Er war von einem 27jährigen Mann zu Tode gequält worden, und seine Mutter verhinderte das nicht. Jetzt standen beide vor der 7. Großen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach, das Licht in diese Dunkelheit bringen wollte und verurteilte schließlich die Mutter Amanda Z. (24) und Martin S. (27), wobei sich ergab, dass eigentlich noch viele andere bestraft gehörten, die diese Missetaten hätten verhindern können, so wie die Mutter des Bub‘.
Die Öffentlichkeit ist sehr interessiert. Vertreter von Rundfunksendern und Zeitungen sind während der Verhandlungsdauer oft anwesend, der Besucherraum im Saal A 100 des Landgerichts Mönchengladbach ist voll, am Tag der Urteilsverkündung überfüllt. Der Vorsitzende Richter Lothar Beckers hat von Absichten erfahren, den Prozess mit zu filmen und die Mitschnitte auf Youtube zu veröffentlichen. Er muss an das strikte Verbot erinnern, während eines Prozesses Aufnahmen zu machen. Nach dem Verhandlungstermin vom 26. Mai tauchen in sozialen Medien ausschnittsweise Wortprotokolle dieser Sitzung auf. Das deutet auf eine heimliche Tonaufnahme. Die Besucher werden nun vor Betreten des Sitzungssaals abermals kontrolliert.
Die Aussagen der Angeklagten zur Person offenbaren beschädigte Biographien. Die Eltern von Amanda Z. ließen sich kurz nach ihrer Geburt scheiden. Sie wechselte mehrmals die Schule, galt als schwierige Schülerin, war vorübergehend in einem Heim untergebracht. Gewohnt hat sie abwechselnd bei ihrem Vater und ihrer Mutter. Gerne wäre sie Hotelfachfrau geworden, als Kellnerin hat sie schon ’mal gearbeitet. Mit vierzehn Jahren nimmt sie Hasch, später Amphetamine. Sie ist vorbestraft wegen Betrugs. Ihren Sohn hat sie von Dirk F. (32). (Dieser tritt im Prozess als Nebenkläger auf.) Im Jahr 2015 beginnt sie ihre Beziehung mit Martin S., mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat, die im September 2016 geboren wird. Manchmal weint Amanda während des Prozesses; bei Martin dagegen ist keine Regung festzustellen.
Auch die Biographie von Martin S. ist von Brüchen gezeichnet. Seine Mutter ist inzwischen zum dritten Mal verheiratet. Ihr erster Ehemann, Martins leiblicher Vater, trennte sich von ihr, als dieser noch ein Kind war. Martin nennt diesen nur seinen „Erzeuger“. Sein „richtiger“ Vater ist für ihn der zweite Ehemann seiner Mutter, Markus S., der ihn adoptiert hat. Eine richtige Berufsausbildung konnte er nicht abschließen (u.a. hat er eine Dachdeckerlehre aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen). Auch er hat Amphetamine konsumiert. Eine Zeitlang arbeitete er bei seiner Tante in Waldniel, die Festzelte verleiht. Zuletzt war er bei einem Getränkehandel im Lager beschäftigt. Während seiner Beziehung mit Amanda hatte diese auch intime Kontakte mit Lucas Vater, wie sich bei den Verhandlungen ’raus stellt.
Der Tod von Luca hätte verhindert werden können. Schon im Januar 2016 hat ihn Martin S. (nach der Anklageschrift zum ersten Mal) geschlagen und damit einen Bluterguss im Gesicht des Jungen verursacht. Im April vergangen Jahres fügte er ihm mit einem Feuerzeug Brandwunden am Rücken zu. Darüber hinaus kommen im Prozess auch Hinweise auf einen möglichen sexuellen Missbrauch ans Licht. Einer Kinderärztin, die Luca untersuchte, fiel eine verzögerte Sprachentwicklung auf; sie untersucht ihn nach den Verletzungen vom Januar 2016. Da diese nicht die Folge eines Sturzes sein können, informiert sie das Jugendamt. Luca erzählt ihr auch, sein Stiefvater habe ihn geschlagen, was seine Mutter als Lüge bezeichnete und den Kinderarzt wechselte. Dieser entdeckt später bei Luca außer der Brandverletzung ein sieben mal drei Zentimeter großes Hämatom im Unterleib, das nur durch Gewalt entstanden sein kann.
Infolge dieser Misshandlungen hatte das Amtsgericht Viersen Lucas Mutter den Kontakt zu Martin S. verboten. Sie hielt sich aber nicht daran.
Ein vom Amtsgericht beauftragter Psychologe stellte im August 2016 fest, Amanda Z. sei erziehungsfähig und Martin S. keine Gefahr für den Jungen. Infolgedessen blieb der Junge bei seiner Mutter, die bekam auch eine Familienhilfe, die aber anscheinend nicht richtig hinguckte.
Am Morgen des 23. Oktober 2016 steht Martin auf, geht in das Zimmer des Jungen und ruft Amanda. Dort liegt Luca mit Schaum vor dem Mund und blau angelaufenem Gesicht im Bett. Amanda und Martin rufen noch den Krankenwagen, aber zu spät. Die Rettungskräfte können nichts mehr für den Jungen tun.
Die Untersuchung durch einen Arzt eines Instituts für Gerichtsmedizin in Düsseldorf bestätigt die Befürchtung einer brutalen Tötung: der Täter muss Luca über einen Zeitraum von mindestens 20 bis 30 Minuten misshandelt haben, wenn nicht länger. Der Gutachter braucht viel Zeit, um die einzelnen Verletzungen (v.a. am Kopf, am Hals und im Bauch) zu beschreiben. Welche dieser Verletzungen zum Tod geführt hat, lässt sich nicht absolut sicher feststellen.
Erhellend soll ein Gutachten des Psychologen Dr. Martin Albrecht aus Nettetal sein. Er beschreibt den Angeklagten als kontaktscheu, emotional labil, wenig leistungsorientiert. Seine Taten wie die mit dem Feuerzeug zugefügten Brandwunden sind von anderer Art als die sonst üblichen häuslichen Gewaltanwendungen, die in Ohrfeigen oder Faustschlägen bestehen und kurz verlaufen. Martin S. hat nicht im Affekt, sondern aus Sadismus gehandelt. Dabei hat weniger die sexuelle Erregung eine Rolle gespielt als das Gefühl der Macht. Der Gutachter stimmt dem Fazit des Richters zu: „Das Leiden des Kindes ist der Genuss des Täters.“
Das Gericht verurteilt Martin S. zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe und Amanda Z. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten (Az 27 Ks 1/17).
S. habe Gründe gehabt, Luca zu töten, u.a. weil dieser noch ein „Bindeglied“ zwischen Amanda und Dirk F. darstellte. Da Luca am Abend vor seinem Tod noch munter war, werden ihm die tödlichen Verletzungen in der Nacht zugefügt worden sein. S. hat nach eigener Aussage am Morgen des 23. Oktober nicht einmal versucht, ihn wachzurütteln. Er muss folglich bereits gewusst haben, dass der Junge nicht mehr lebte. Das Geschehen in der Nacht kann nicht lückenlos aufgeklärt werden, stellt das Gericht fest.
Ob S. von Anfang an den Jungen umbringen wollte, ist nicht klar. Deshalb wird von Totschlag ausgegangen. Der kann aber in besonders schweren Fällen auch mit lebenslanger Haft bestraft werden. Diese Tat komme in ihrer Schwere und Verwerflichkeit einem Mord gleich. Das Opfer sei schutzlos und der Anlass nichtig gewesen, so die Urteilsbegründung.
Amanda Z. wird der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen für schuldig befunden. Sie habe als Mutter versagt, Lucas Vater und Martin S. gegeneinander ausgespielt, aus Bequemlichkeit die Gefahren für ihren Sohn ignoriert. „Sie hat Luca allein gelassen.“
Marion F., die Mutter von Dirk F. (die Großmutter des Opfers), redet nach dem Urteil sehr aufgebracht. Man solle das Jugendamt dichtmachen. Es habe versagt (ebenso wie der Gutachter und das Familiengericht in Viersen), ihre Beschwerden ignoriert und sich nach Lucas Tod nicht entschuldigt. Sie erzählt von Lucas Besuchen bei ihr und wie der Junge geweint habe, wenn er wieder nach Hause musste.
Rhenanus
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